Stressreaktion

(Auszug aus meiner Anatomiearbeit über rheumatische Erkrankungen mit näherer Erläuterung zum Verständnis der Fibromyalgie und Polymyalgie):

Hohe Belastungen körperlicher Natur (Bedrohung durch Gefahren, Krankheiten, Verletzungen, Operationen,  intensives sportliches Training, Verrichten von Arbeit mit lang anhaltender körperlicher Über- oder Fehlbelastung, chemische und thermische Einflüsse) oder seelischer Natur (Konflikte, Mobbing, Ärger, Angst, Leistungs- und Leidensdruck, finanzielle Probleme, Partnerschaftskonflikte, Verlusterfahrungen z.B. durch Todesfall oder Trennung) – sogenannte Stressoren – lösen im Körper einen Regelkreis aus, der für eine erhöhte Reaktions- und Leistungsbereitschaft sorgt. Blitzartig werden Glukokortikoide ausgeschüttet  für die Bereitstellung von Zucker für die Zellen und Adrenalin und Noradrenalin für die Aktivierung der Organtätigkeit.

Es ist der sympatische Anteil (Sympatikus) des vegetativen, unwillkürlichen Nerven­systems (VNS), welcher diese Aktivierung in Gang setzt. Das VNS, bestehend aus dem Parasympatikus (Erholung) und dem Sympatikus (Leistung), regelt die Organtätigkeit und alle lebenswichtigen Vorgänge im Körper. Es reagiert auf Hormone und Neurotransmitter, deren Ausschüttung im Hypothalamus (limbisches System) koordiniert wird.

Was geschieht in der Stressreaktion:

  • Nieren schütten Stresshormone aus (Adrenalin, Cortisol), die Leber setzt Glukose frei (Blutzucker)
  • Herz: Schlagkraft, Frequenz und Schlagvolumen werden erhöht (erhöhter Blutdruck)
  • Atmung wird beschleunigt (flache, schnelle, pausenlose Atmung)
  • Das Blickfeld wird verändert (die visuelle Wahrnehmung wird auf entfernte Gegenstände eingestellt; kann Unfallgefahr erhöhen)
  • Skelettmuskulatur und Lunge werden vermehrt durchblutet
  • Die Tätigkeit der Verdauungsorgane wird reduziert (Verstopfung)
  • Erhöhung des Muskeltonus (Verspannungen)
  • Erhöhte Zuckerausschüttung (Übersäuerung, bis hin zu Diabetes mellitus II)
  • Die Durchblutung der Haut wird reduziert (kalte, bleiche Haut)
  • Der Wachheitsgrad wird erhöht (Schlafprobleme)
  • Nieren verringern Urinausscheidung
  • Kognitive Leistungen werden eingeschränkt oder im Extremfall unterbrochen zugunsten der Reaktionsfähigkeit (Denkfehler, Denkblockaden, Konzentrationsstörungen)
  • Immunantwort wird modifiziert (erhöhte Krankheitsanfälligkeit)
  • Die Libido wird reduziert

Obwohl die Stressoren heutzutage in der Regel nicht mehr denjenigen aus Urzeiten entsprechen, welche „Flucht oder Kampf“ verlangen, ist die physiologische Reaktion noch immer die gleiche: Blitzartig wird der Sympatikus aktiviert, der Organismus schüttet Glukokortikoide (Kortison) aus, um schnell Glukose durch die Leber bereitzustellen, und Adrenalin und Noradrenalin, um die Organe zu aktivieren, welche für die Kampf- oder Fluchthandlung notwendig sind. So werden die für die „Flucht- oder Kampf“-Reaktion nicht erforderlichen Organe wie z.B. Verdauung, Fortpflanzung oder Denkvorgänge  (Denkvorgänge werden zugunsten notwendiger Reflexhandlungen unterdrückt) reduziert.

Im Idealfall wird das physiologisch bereitgestellte Leistungspotential ausagiert durch körperliche Aktivität oder in einer angemessenen Erholungsphase (Aktivierung des Parasympatikus) ausgeglichen, damit das physiologische Gleichgewicht  wieder hergestellt wird. Steht der Organismus jedoch unter andauerndem, lang anhaltendem Stress ohne Regene­rie­rungs­möglichkeit, werden Glukose und Fett im Blut nicht genügend abgebaut und die Organe erfahren eine Überlastung: Der Körper erschöpft sich. Typische Stress-Symptome sind:

Geschwächtes Immunsystem,  Schlafstörungen (Schlafmangel hat z.B. Einfluss auf die Schmerzreaktion, indem die Sensibilität der Nozizeptoren stark erhöht wird, und kann Depressionen auslösen), beeinträchtigte Lern- und Konzentrationsfähigkeit, Spannungs­kopfschmerzen (alles Folgen der Glukokortikoide), Probleme mit dem Magen-Darmtrakt,  Atembeschwerden, Veränderungen im Herz-Kreislaufsystem (u.a. Herz­klopfen, Herzrasen, Arteriosklerose, Bluthochdruck), Tinnitus, Erschöpfung, Nervosität, Gereiztheit, Antriebslosigkeit, emotionale Erregbarkeit, hohe Blutzuckerwerte, seelische Ver­stimmungen (Ängste,  Trauer, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, depressive Verstimmungen usw.)

Diese Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Menschen stellen in sich wiederum Stressoren dar, wodurch ein sich selber aufschaukelnder Kreislauf entstehen kann. Gesundheitliche Auswirkungen auf Körper und  Psyche sind die Folge, bis hin zu Erschöpfung, Burnout oder lebensbedrohlichen Erkrankungen v.a. im Herz-Kreislauf-System oder Diabetes mellitus. Aber auch andere funktionelle oder somatoforme Störungen (körperliche Symptome ohne organische Ursachen)  finden hier ihren Nährboden.

Dies zeigt auf, wie wichtig es für den Menschen ist, Möglichkeiten für den Umgang mit und Bewältigung von Stress zu entwickeln (Coping). Dies beinhaltet angemessene körperliche Bewegung, ausgewogene Ernährung, Ruhephasen, Verän­derung von Einstellungen und Verhaltensweisen, allenfalls Veränderung von Alltags­situationen (Lebensumfeld, Arbeit) usw.

(Copyright Regula Leuthold)